Es war einmal mitten im Winter, und die Schneeflocken fielen wie Federn vom Himmel herab. Eine Königin saß an einem Fenster, dessen Rahmen aus schwarzem Ebenholz war, und nähte. Während sie nähte und zum Schneefall hinaussah, stach sie sich in den Finger, und es fielen drei Tropfen Blut in den Schnee. Und weil das Rote im weißen Schnee so schön aussah, dachte sie bei sich: „Hätte ich ein Kind so weiß wie Schnee, so rot wie Blut und so schwarz wie das Holz an dem Rahmen.“

Bald darauf bekam sie eine Tochter, die war so weiß wie Schnee, so rot wie Blut und so schwarzhaarig wie Ebenholz, und sie wurde deshalb Schneewittchen genannt. Aber als das Kind geboren war, starb die Königin.

Ein Jahr darauf nahm sich der König eine andere Frau. Es war eine schöne Frau, aber sie war stolz und übermütig und konnte nicht leiden, dass sie an Schönheit von jemandem übertroffen werden könnte. Sie hatte einen wunderbaren Spiegel; wenn sie vor diesen trat und sich darin besah, sprach sie:

„Spieglein, Spieglein an der Wand, Wer ist die Schönste im ganzen Land?“

So antwortete der Spiegel:

„Frau Königin, Ihr seid die Schönste hier, Aber Schneewittchen ist tausendmal schöner als Ihr.“

Da erschrak die Königin und wurde gelb und grün vor Neid. Von Stund an, wenn sie Schneewittchen ansah, kehrte sich ihr Herz um, so hasste sie das Mädchen. Der Neid und Hochmut wuchsen wie ein Unkraut in ihrem Herzen immer höher, dass sie Tag und Nacht keine Ruhe mehr hatte.

Eines Tages rief sie einen Jäger und sprach: „Bringe das Kind hinaus in den Wald, ich will es nicht mehr vor meinen Augen sehen. Du sollst es töten und mir Lunge und Leber als Wahrzeichen mitbringen.“

Der Jäger gehorchte und führte Schneewittchen hinaus; aber als er den Jagdmesser zog und Schneewittchens unschuldiges Herz durchbohren wollte, fing sie an zu weinen und sprach: „Ach lieber Jäger, lass mir mein Leben! Ich will in den wilden Wald laufen und nimmermehr wieder heimkommen.“ Und weil sie so schön war, hatte der Jäger Mitleid und sprach: „So lauf hin, du armes Kind.“ Die wilden Tiere werden dich bald gefressen haben, dachte er, und doch war ihm als fiel ein Stein von seinem Herzen, weil er es nicht töten musste. Und als gerade ein junger Frischling dahergesprungen kam, stach er ihn nieder, nahm Lunge und Leber heraus und brachte sie der Königin als Wahrzeichen. Der Koch musste sie in Salz kochen, und die boshafte Frau aß sie auf und meinte, sie hätte Schneewittchens Lunge und Leber gegessen.

Nun war das arme Kind in dem großen Wald mutterseelenallein und hatte solche Angst, dass es alle Blätter an den Bäumen ansah und nicht wusste, wie es sich helfen sollte. Da fing es an zu laufen und lief über die spitzen Steine und durch die Dornen und die wilden Tiere sprangen an ihm vorbei, aber sie taten ihm nichts. Es lief so lange, bis es kaum mehr laufen konnte und es war bald Abend. Da sah es ein kleines Häuschen und ging hinein, um sich auszuruhen.

Im Häuschen war alles klein, aber so zierlich und reinlich, dass es nicht zu sagen ist. Es stand ein weißgedecktes Tischlein mit sieben kleinen Tellern, jeder Teller mit seinem Löffel, ferner sieben Messer und Gäbelchen und sieben Becherlein. An der Wand waren sieben Bettlein nebeneinander aufgestellt und schneeweiße Laken darüber gedeckt. Weil es so hungrig und durstig war, aß es von jedem Tellerlein ein wenig Gemüse und Brot und trank aus jedem Becherlein einen Tropfen Wein, denn es wollte nicht einem allein alles wegnehmen. Danach legte es sich in ein Bettchen, aber keins passte, eins war zu lang, das andere zu kurz, bis das siebente recht war; und darin blieb es liegen, empfahl sich Gott und schlief ein.

Als es ganz dunkel geworden war, kamen die Herren des Häuschens, die sieben Zwerge, von ihrer Arbeit heim. Sie zündeten ihre sieben Lichtlein an und als es nun hell im Häuschen wurde, sahen sie, dass jemand darin gewesen war, denn es stand nicht alles so in der Ordnung, wie sie es verlassen hatten. Der erste sprach: „Wer hat auf meinem Stühlchen gesessen?“ Der zweite: „Wer hat von meinem Tellerchen gegessen?“ Der dritte: „Wer hat von meinem Brötchen genommen?“ Der vierte: „Wer hat von meinem Gemüschen gegessen?“ Der fünfte: „Wer hat mit meinem Gäbelchen gestochen?“ Der sechste: „Wer hat mit meinem Messerchen geschnitten?“ Der siebente: „Wer hat aus meinem Becherlein getrunken?“

Dann sah sich der erste um und sah, dass in seinem Bett eine kleine Delle war, und sagte: „Wer hat in meinem Bettchen gelegen?“ Die anderen kamen gelaufen und riefen: „In meinem hat auch jemand gelegen.“ Der siebente aber, als er in sein Bett sah, erblickte Schneewittchen, das darin lag und schlief.

Die Zwerge holten in ihrer Freude ihre sieben Lichtlein und ließen das Licht auf Schneewittchen scheinen. „Ach, du mein Gott! Ach, du mein Gott!“ riefen sie und freuten sich so sehr, dass sie es nicht aufwecken wollten und es schlafen ließen. Der siebente Zwerg schlief bei seinen Gesellen, eine Stunde bei jedem, und da war die Nacht herum.

Als Schneewittchen am Morgen erwachte und die sieben Zwerge sah, erschrak es; aber sie waren freundlich und fragten: „Wie heißt du?“ „Ich heiße Schneewittchen,“ antwortete es. „Wie bist du in unser Haus gekommen?“ fragten die Zwerge weiter. Da erzählte es ihnen, dass seine Stiefmutter es habe töten lassen wollen, der Jäger ihm aber das Leben geschenkt habe, und es sei den ganzen Tag gelaufen, bis es endlich ihr Häuschen gefunden habe.

Da sprachen die Zwerge: „Willst du unseren Haushalt besorgen, kochen, Betten machen, waschen, nähen und stricken, und willst du alles ordentlich und reinlich halten, so kannst du bei uns bleiben, und es soll dir an nichts fehlen.“ „Ja,“ sagte Schneewittchen, „von Herzen gern,“ und blieb bei ihnen. Es hielt ihnen das Haus in Ordnung: morgens gingen sie in die Berge und suchten Erz und Gold, abends kamen sie wieder, und da musste ihr Essen fertig sein. Den Tag über war das Mädchen allein; die guten Zwerge warnten es und sprachen: „Hüte dich vor deiner Stiefmutter, die wird bald wissen, dass du hier bist; lass ja niemanden ins Haus.“

Nun wusste die Königin daheim, dass Schneewittchen tot zu sein schien, und meinte, wieder die Erste und Allerschönste zu sein. Sie trat vor ihren Spiegel und sprach:

„Spieglein, Spieglein an der Wand, Wer ist die Schönste im ganzen Land?“

Da antwortete der Spiegel:

„Frau Königin, Ihr seid die Schönste hier, Aber Schneewittchen über den Bergen Bei den sieben Zwergen Ist noch tausendmal schöner als Ihr.“

Da erschrak sie, denn sie wusste, dass der Spiegel nicht lügt, und merkte, dass der Jäger sie betrogen hatte und Schneewittchen noch am Leben war. Da dachte sie und dachte wieder, wie sie es umbringen wollte, denn solange sie nicht die Schönste war im ganzen Land, ließ ihr der Neid keine Ruhe. Als sie sich endlich etwas ausgedacht hatte, färbte sie ihr Gesicht und kleidete sich wie eine alte Krämerin, sodass sie ganz unkenntlich war. In dieser Gestalt ging sie über die sieben Berge zu den sieben Zwergen, klopfte an die Türe und rief: „Schöne Ware feil! Feil!“

Schneewittchen guckte zum Fenster hinaus und rief: „Guten Tag, liebe Frau, was habt Ihr zu verkaufen?“ „Gute Ware, schöne Ware,“ antwortete sie, „Schnürriemen in allen Farben,“ und holte einen aus, der aus bunter Seide geflochten war. „Die ehrliche Frau kann ich hereinlassen,“ dachte Schneewittchen, riegelte die Türe auf und kaufte sich den hübschen Schnürriemen. „Kind,“ sprach die Alte, „wie du aussiehst! Komm, ich will dich einmal ordentlich schnüren.“ Schneewittchen hatte keine Arglist, stellte sich vor sie und ließ sich mit dem neuen Schnürriemen schnüren; aber die Alte schnürte geschwind und schnürte so fest, dass Schneewittchen keine Luft mehr bekam und für tot hinfiel.

Da war die alte Frau zufrieden, ging nach Hause und war der Meinung, dass sie jetzt die Schönste wäre im ganzen Land.

Nicht lange darauf, gegen Abend, kamen die sieben Zwerge nach Haus, aber wie erschraken sie, als sie ihr liebes Schneewittchen auf der Erde liegen sahen, und es regte sich nicht, als wäre es tot. Sie hoben es in die Höhe, und weil sie sahen, dass es zu fest geschnürt war, schnitten sie den Schnürriemen entzwei; da fing es an ein wenig zu atmen und ward nach und nach wieder lebendig. Als die Zwerge hörten, was vorgefallen war, sprachen sie: „Die alte Krämerfrau war niemand anders als die gottlose Königin, hüte dich und lass niemanden herein, wenn wir nicht bei dir sind.“

Die böse Frau aber trat daheim vor den Spiegel und sprach:

„Spieglein, Spieglein an der Wand, Wer ist die Schönste im ganzen Land?“

Da antwortete er wie sonst:

„Frau Königin, Ihr seid die Schönste hier, Aber Schneewittchen über den Bergen Bei den sieben Zwergen Ist noch tausendmal schöner als Ihr.“

Als sie das hörte, ward ihr alles Blut zum Herzen getrieben, so erschrak sie, denn sie sah wohl, dass Schneewittchen wieder lebendig geworden war. „Nun aber,“ sprach sie, „will ich etwas aussinnen, das dich zugrunde richten soll.“ Und mit Hexenkünsten, die sie verstand, machte sie einen giftigen Kamm. Dann verkleidete sie sich und nahm die Gestalt einer anderen alten Frau an.

So ging sie über die sieben Berge zu den sieben Zwergen, klopfte an die Türe und rief: „Gute Ware feil! Feil!“ Schneewittchen schaute hinaus und sagte: „Geht nur weiter, ich darf niemanden einlassen.“ „Das anzusehen wird dir doch erlaubt sein,“ sprach die Alte, zog den giftigen Kamm heraus und hielt ihn in die Höhe. Dem Kamm konnte Schneewittchen nicht widerstehen und öffnete die Türe. Als sie sich einig waren, sprach die Alte: „Komm, ich will dir einmal den Kamm ordentlich in die Haare stecken.“ Das arme Schneewittchen dachte nichts Böses, ließ sich von der Alten den Kamm geben, aber kaum hatte er die Haare berührt, so wirkte das Gift und das Mädchen fiel besinnungslos nieder. „Jetzt bist du vorüber,“ sagte die Alte und ging fort.

Zum Glück war es bald Abend, wo die sieben Zwerge nach Hause kamen. Als sie Schneewittchen wie tot auf der Erde liegen sahen, ahnten sie gleich die böse Stiefmutter, suchten und fanden den giftigen Kamm und kaum hatten sie ihn herausgezogen, so kam Schneewittchen wieder zu sich und erzählte, was sich begeben hatte. Da warnten sie es noch einmal, auf der Hut zu sein und niemanden die Tür zu öffnen.

Die Königin stellte sich daheim vor den Spiegel und sagte:

„Spieglein, Spieglein an der Wand, Wer ist die Schönste im ganzen Land?“

Der Spiegel antwortete wie zuvor:

„Frau Königin, Ihr seid die Schönste hier, Aber Schneewittchen über den Bergen Bei den sieben Zwergen Ist noch tausendmal schöner als Ihr.“

Als die Königin das hörte, zitterte und bebte sie vor Zorn. „Schneewittchen soll sterben,“ rief sie, „und wenn es mein eigenes Leben kostet.“ Daraufhin ging sie in eine ganz verborgene, einsame Kammer, wo niemand hinkam, und machte einen giftigen, giftigen Apfel. Äußerlich sah er schön aus, weiß mit roten Backen, dass jeder, der ihn sah, Lust bekam ihn zu essen, aber wer einen kleinen Bissen davon aß, musste sterben.

Als der Apfel fertig war, färbte sie ihr Gesicht und verkleidete sich in eine Bauersfrau. So ging sie wieder über die sieben Berge zu den sieben Zwergen. Sie klopfte an, und Schneewittchen streckte den Kopf zum Fenster heraus und sprach: „Ich darf keinen Menschen einlassen, die sieben Zwerge haben mir’s verboten.“ „Das ist mir recht,“ antwortete die Bäuerin, „meine Äpfel will ich schon loswerden. Da, einen will ich dir schenken.“

„Nein,“ sagte Schneewittchen, „ich darf nichts annehmen.“ „Fürchtest du dich vor Gift?“ sprach die Alte, „siehst du, da schneide ich den Apfel in zwei Teile; den roten Backen iss, den weißen will ich essen.“ Der Apfel war aber so künstlich gemacht, dass der rote Backen allein vergiftet war. Schneewittchen gelüstete nach dem schönen Apfel, und als es sah, dass die Bäuerin davon aß, konnte es nicht länger widerstehen, streckte die Hand hinaus und nahm die giftige Hälfte. Kaum aber hatte es einen Bissen davon im Mund, so fiel es tot zur Erde nieder.

Die Königin aber betrachtete es mit grausigen Blicken, lachte laut und sprach: „Weiß wie Schnee, rot wie Blut, schwarz wie Ebenholz, diesmal können dich die Zwerge nicht wieder erwecken.“ Und als sie daheim den Spiegel befragte:

„Spieglein, Spieglein an der Wand, Wer ist die Schönste im ganzen Land?“

So antwortete er endlich:

„Frau Königin, Ihr seid die Schönste im Land.“

Da hatte ihr neidisches Herz Ruhe, so gut ein neidisches Herz Ruhe haben kann.

Die Zwerge, als sie abends nach Hause kamen, fanden Schneewittchen auf der Erde liegen und es ging kein Atem mehr aus seinem Mund, es war tot. Sie hoben es auf, suchten, ob sie etwas Giftiges fänden, schnürten es auf, kämmten ihm die Haare, wuschen es mit Wasser und Wein, aber es half alles nichts: das liebe Kind war tot und blieb tot. Sie legten es auf eine Bahre und setzten sich alle sieben daran und beweinten es und weinten drei Tage lang. Dann wollten sie es begraben, aber es sah noch aus wie ein lebender Mensch und hatte noch seine schönen roten Backen. Sie sprachen: „Wir können es nicht in die schwarze Erde versenken,“ und ließen einen durchsichtigen Sarg von Glas machen, dass man es von allen Seiten sehen konnte, legten es hinein und schrieben seinen Namen mit goldenen Buchstaben darauf und setzten den Sarg hinaus auf den Berg, und einer von ihnen blieb immer dabei und bewachte ihn. Und die Tiere kamen auch und beweinten Schneewittchen, erst eine Eule, dann ein Rabe und zuletzt ein Täubchen.

Nun lag Schneewittchen lange, lange Zeit in dem Sarg und verweste nicht, sondern sah aus, als wenn es nur schliefe, denn es war noch so weiß wie Schnee, so rot wie Blut und so schwarzhaarig wie Ebenholz. Es geschah aber, dass ein Königssohn in den Wald geriet und zu dem Zwergenhaus kam, wo er übernachten wollte. Er sah auf dem Berg den Sarg und das schöne Schneewittchen darin und las, was mit goldenen Buchstaben darauf geschrieben war. Da sprach er zu den Zwergen: „Lasst mir den Sarg, ich will euch geben, was ihr dafür haben wollt.“ Aber die Zwerge antworteten: „Wir geben ihn nicht für alles Gold in der Welt.“ Da sprach er: „So schenkt ihn mir, denn ich kann nicht leben, ohne Schneewittchen zu sehen; ich will es ehren und hochhalten wie mein Liebstes.“ Als er so sprach, empfanden die guten Zwerge Mitleid mit ihm und gaben ihm den Sarg.

Der Königssohn ließ ihn auf seinen Schultern forttragen, aber es geschah, dass sie über einen Strauch stolperten und von dem Schlage fuhr der giftige Bissen, den Schneewittchen abgebissen hatte, aus seinem Hals. Und nicht lange, da öffnete es die Augen, hob den Deckel vom Sarg in die Höhe und richtete sich auf und war wieder lebendig.

„O Gott, wo bin ich?“ rief es. Der Königssohn sagte voll Freude: „Du bist bei mir,“ und erzählte, was sich zugetragen hatte, und sprach: „Ich habe dich lieber als alles auf der Welt; komm mit mir in meines Vaters Schloss, du sollst meine Gemahlin werden.“ Da war ihm Schneewittchen gut und ging mit ihm, und ihre Hochzeit ward mit großer Pracht und Herrlichkeit gefeiert.

Zu der Hochzeit ward auch Schneewittchens gottlose Stiefmutter eingeladen. Als sie sich mit schönen Kleidern angetan hatte, trat sie vor den Spiegel und sprach:

„Spieglein, Spieglein an der Wand, Wer ist die Schönste im ganzen Land?“

Der Spiegel antwortete:

„Frau Königin, Ihr seid die Schönste hier, Aber die junge Königin ist tausendmal schöner als Ihr.“

Da stieß das böse Weib einen Fluch aus und ward ihr so angst, so angst, dass sie sich nicht zu lassen wusste. Anfangs wollte sie gar nicht zur Hochzeit kommen, doch konnte sie sich aus Neid nicht enthalten. Als sie aber in den Saal trat, erkannte sie Schneewittchen und vor Angst und Schrecken stand sie da und konnte sich nicht rühren. Da standen eiserne Pantoffeln im Feuer und wurden mit Zangen hereingetragen und vor sie hingestellt. Sie musste in die rotglühenden Schuhe treten und so lange tanzen, bis sie tot zur Erde fiel.